Montag, 28. Dezember 2020 | Thomas Ritt | News
Über 60 Beiträge aus aller Welt haben wir für unser 40-Jahre-Buch gesammelt, von Kunden, Mitarbeitern und Tourguides, und auch von Journalisten. Leider konnten wir beim besten Willen nicht alle unterbringen, einige blieben deshalb unveröffentlicht. Ihnen erweisen wir jetzt hier in unserem Blog die Ehre und präsentieren sie in loser Folge zur Winterlektüre.
Viel Spaß beim Lesen!
Ich erinnere mich noch sehr gut. Als Grundschüler hatten wir eine Schulbankauflage aus Kunststoff, die wir zur Frühstückspause als Tischschoner auf unseren Platz legen mussten, um mit unseren Pausenbroten nicht die Schulbank zu verschmieren. Auf dieser Schutzauflage war die Weltkarte abgebildet. Während ich nun in den täglichen Frühstückspausen mein Pausenbrot mit dem Kakao verdrückte, studierte ich tagtäglich die Weltkarte und immer wieder richtete sich mein Blick auf Kanada und Alaska. Was für ein riesiges Land musste das sein, unendliche Wildnis, ewiges Eis, Bären und andere unbekannte wilde Tiere in nicht endenden Wäldern
Im Winter 1987 /1988 war ich mal wieder in meiner kleinen Hinterhof-Schrauberwerkstatt, die auch BMWs reparierten und warteten. Dort lag auf einer Fensterbank, neben öligen Lappen und Werkzeug, ein kleiner Flyer eines Reiseveranstalters, verknickt und ölig. In diesem blätterte ich ein wenig und sah ein Reise Angebot nach Kanada / Alaska, mit dem Motorrad. „Edelweiss Bike Travel, the Motorcycle Touring People“, nie gehört. Damit war die Entscheidung getroffen, da fahr ich hin. Als junger Ingenieur hatte ich nur den Traum, mit dem Motorrad nach Kanada und Alaska zu fahren. Geld und Zeit hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Irgendwie wird‘s schon gehen. Aber bis zum Sommer war ja noch Zeit. Gebucht habe ich dann bei Rosi Maag in der Deutschland-Dependance von Edelweiss im Reisebüro Schmalz (so war der Name in dieser Zeit) in Altenkirchen. Das bis dahin mühsam zusammengekratzte, notwendige Geld habe ich dann persönlich nach Altenkirchen gebracht. In meinem Archiv habe ich noch die Buchungsbestätigung und die Flugtickets gefunden. Abflug war am 07.08.88 ab Frankfurt nach Vancouver. Dort wurden dann die Leihmaschinen abgeholt, ganz in der Nähe, es waren 150 km, als Sozius mit Gepäck am langen Arm. Die Übergabegabe war recht unbürokratisch. Schlüsselübergabe und „have fun“. So kam ich dann zu meiner sehr gebrauchten Ténéré, die mich nun die nächsten 3 Wochen durch die Wildnis des Nordens bringen sollte.
Das Abenteuer begann. Wir waren zehn Teilnehmer aus den USA, der Schweiz und aus Deutschland, darunter 2 Tourguides Ich dachte zwischendurch für mich, was machst Du hier? Fährst hier tagelang geradeaus, durch die Tundra und die Wälder dieses riesigen Landes. Doch nach 2-3 Tagen wurde mir klar, ich bin da wo ich früher immer auf der Landkarte nachgeguckt habe. Unendliche Weiten, Millionen von Seen und tausende Flüsse. Die größten Lachse und die größten Bären. Und nur 500.000 Menschen (1988).
Im Wesentlichen führten die Straßen immer geradeaus. Ein Richtungswechsel war nur an einer Junction (Kreuzung) möglich. Dann ging´s wieder geradeaus. Die Mittagspause verbrachten wir oft in einem Restaurant am Rande des staubigen Highways. Hinter einem dieser Restaurants tobte ein wilder schäumender Fluss. Auf den felsigen Klippen standen die Einheimischen mit bis zu 6 Meter langen Stangen an deren Ende ein Metallharken befestigt war. Mit großer Geschicklichkeit fischten sie damit die Lachse aus den Fluten, die wir eine viertel Stunde später in Form eines XXXL- Lachssteaks serviert bekamen. Unfassbar, dazu ein halber Liter Eiswürfel mit Coke. So sind die Kanadier, auch bei 12 Grad.Der Cachier Highway war meine erste Naturstraße, die ich gefahren bin, mit zusammengepressten Lippen und krampfhaften festhalten des Lenkers kam ich dann am Abend mit den mittlerweile guten Biker-Freunden auf einer Waldlichtung an. Hier stand unser Nachtquartier. 5 Holzhütten, jede hatte einen Raum mit 2 Betten. Bathroom outside. Glücklicherweise hatten unsere Tourguides genügend Wodka, auch zum Zähne putzen.
So ging’s durch British Columbia, Yukon Territory, durch die Rocky Mountains, über Prince George, New Hazelton, Watson Lake, Whitehorse. Mile für Mile durch die Wildnis bis nach Dawson City, die Goldgräberstadt am Klondike River. Die Spuren der Goldgräber aus den letzten 1890er Jahren waren noch gut zu erkennen, auch was das für goldene Zeiten waren. Mittlerweile ist die Goldindustrie hier eine technische Industrie geworden. Am Abend des dort verbrachten Rasttages bekam unsere Gruppe einen ehrenvollen Titel verliehen. „The Ten of the Top“. Denn wir waren die Ersten, die diese Tour in einer Gruppe durchgeführt haben. Gefeiert haben wir das dann gebührend in einem der sagenumwobenen Saloons mit Spielhölle. Aus dieser fröhlichen Laune entstand dann die Idee, sofern wir gewinnbringende Einsätze hatten, würden wir mit dem Gesamtgewinn einen Wasserflieger chartern und von Anchorage zu den Gletschern auf die Gipfel des Mount McKinley zu fliegen. Am späteren Abend waren wir erfolgreich und fröhlich und unser freier Tag in Anchorage war verplant.
Nach dem gewinnbringenden freien Tag in Dawson waren wir nun auf dem „Top of the World“ unterwegs. Ich ging immer etwa 15 min früher als meine Tour-Freunde zum Motorrad, da ich in den letzten Tagen Startschwierigkeiten hatte, meine Maschine in Gang zu bekommen. So brauchte ich jeden Morgen meine Zeit, um die Maschine anzutreten. Am Ende der Reise sollte sich dann herausstellen, dass der Zug zum Choke sich ausgehakt hatte. So musste ich meine Kiste jeden Morgen warm treten, und meine Oberschenkelweite hatte sich entsprechend vergrößert.
Im Permafrost versuchten die gigantischen Erdbaumaschinen mühsam, die Straße befahrbar zu halten. Nur wenige von den monumentalen Trucks versuchten über diesen Weg nach Alaska zu kommen. Wir fuhren in den mannstiefen Spurinnen, die die erdfressenden Maschinen hinter sich ließen. Auch einige Wohnmobile waren dabei. Um uns herum breitete sich die unendliche Wildnis aus. Die große Offroad-Erfahrung sollten wir erst nach dieser Tour gesammelt haben. Nach nun mehr als 30 Jahren Motorraderfahrung kann ich heute sagen, dass man auch unüberwindbares Gelände mit einer BMW K100 RS und einer BMW K 100RT bewältigen kann. Wer hätte das gedacht?
Der Grenzübergang nach Alaska heißt Chicken, fünf Häuser, darunter eine Grenzstation mit Shop, in dem man alles kaufen kann. Hinter der Theke eine doppelläufige Flinte, weil auch schon mal Meister Petz vorbeischaut. Der gleichzeitige Truckstopp gibt natürlich ausreichend Gelegenheit zum Austausch der wichtigsten Informationen, wie z.B.: hat die nächste Tankstelle Benzin, wo waren die letzten Bären, sind die Straßen befahrbar… usw? Entlang der großen Öl-Pipeline ging es dann Richtung Anchorage. Gigantisch, dieses Bauwerk steht auf ca. 30.000 Stützen oberhalb des immer gefrorenen Bodens und wird beheizt. Das Fließen des Öls verursacht einen ohrenbetäubenden Lärm in der unendlichen Weite dieser lebensfeindlichen Wildnis. Ketchum Air Service hieß die „one Person“ Fluggesellschaft. Ein junger Buschpilot flog uns zusammen mit seinem Flugbegleiter, sein Sohn, zu den Gletscherseen in die arktische Wildnis des Mount McKinley. Begleitet hat uns über Stunden der Schatten unseres 10 Personen fassenden Flugzeugs, welcher durch die Sonne immer unter uns war, und ohrenbetäubender Lärm dank komfortabler Wellblechausstattung. Die faszinierenden Spiegelungen auf den Gletschern, Seen und Bergen in 6.000 m Höhe waren einmalig. Das legendäre Edelweiss-Picknick fand an einem dieser Seen in 5.000 m Höhe auf einer kleinen Insel im ewigen Eis statt.
Ein faszinierendes Erlebnis war der Zugtransfer von Valdez in einem Tunnel durch die Wrangell Mountains. Auf offenen Pritschenwagons wurden die Maschinen verzurrt. Zur Sicherung gegen Umfallen bekamen wir die Anweisung, auf den Maschinen sitzen zu bleiben. An der Tunnelausfahrt konnte man uns ansehen, dass der ewig lange Zug von einer Kohlenlok angetrieben wurde. Die Spuren von Kohleruß hatten wir noch viele Tage danach in den Augen Ohren und Nase. Durch die Inside Passage ging es dann per Boot in Richtung Vancouver Island. Vorbei an einer ungeahnten, nie endenden, faszinierenden Tierwelt. unendliche Vogelschwärme, Herden von Walen und Delfinen. Vorbei an den kalbenden Gletschern und der niemals endenden Faszination dieses Landes. In Vancouver endete diese Reise nach mehr aus 3 Wochen. Noch heute, 32 Jahre später, ist diese Tour so präsent vor meinem Auge. Ich glaube auch weil sich ein Jahr nach dieser Tour das verheerende Tankerunglück in dieser Küstenregion ereignet hat.
Über viele Jahre hat sich eine sehr intensive Brief- und persönliche Freundschaft mit den „Ten of the Top“ entwickelt, die damals noch weltweit handschriftlich ausgetauscht wurde. Eine Freundschaft zu Wolfgang Merten besteht bis heute, die sich über einige Jahrzehnte auf vielen Reisen immer weiterentwickelt hat. „Die Kunst des Motorrad Reisens“, so lautet der Slogan von Edelweiss in den 1980er Jahren. Auch das hat sich immer weiter zur Perfektion entwickelt. Veranstalter und Tourguides erreichen immer eine Mischung zwischen Planung und Improvisation bis hin zur Perfektion. Meine Weltkarte von meiner Schulbank habe ich nicht mehr, aber eine Weltkarte hängt an meiner Wand. Kanada und Alaska auf Augenhöhe.
Manfred Giebel, Köln.
Alaska-Yukon-Tour 1988